"Ich konnte nicht mehr. Eigentlich wollte ich aufhören und hatte nicht vor, jemals wieder ein Album zu veröffentlichen", sagt Kelis über ihr Ende bei Jive Records im Jahr 2007. Glücklicherweise überdachte sie diesen Schritt damals gründlich und entschied sich, ihre Karriere als Sängerin fortzuführen. So dürfen Fans und Kritiker auch weiterhin eine erstaunliche Entwicklung bezeugen, die mit dem sechsten Studio-Album wohl ihren bisherigen Höhepunkt erreicht.
Wie ein ausgewogener Tag beginnt auch "Food" mit dem "Breakfast". "Ooh Ah / Ooh Ooh Ah", stimmt Kelis' vierjähriger Sohn Knight an, bevor die Sängerin selbst zu einer herzlichen und wohlig warmen Hymne einlädt, zunächst lediglich begleitet von Bass und Drums. Wenn dann noch sanfte Background Vocals, Saxofon und Trompete einsteigen, sprüht "Breakfast" nur so vor Lebensfreude. "So much of who we are / Is from who first taught us how to love" - ein Song, der die Sonne aufgehen lässt.
Unmittelbar nach dem Frühstück kommen die "Jerk Ribs" eigentlich ein bisschen zu früh. Doch spätestens hier offenbart Kelis, dass Titel wie "Cobbler", "Friday Fish Fry" und "Biscuits N' Gravy" völlig beliebig gewählt sind. Mit erzwungenen Anspielungen zum Thema Essen verschont sie den Hörer. Vielmehr liegt die Namensgebung in den Mahlzeiten begründet, die die gelernte Saucen-Köchin der Band während der Aufnahmesessions in ihrem Haus servierte, wie die Bilder im Booklet belegen.
Jene Band erweist sich in "Jerk Ribs" als treibende Kraft und unterlegt Kelis' hauchenden Soul mit euphorischen Funk-Bläsern. Dem Reichtum an Harmonie, Kraft und Melodie, den die Sängerin in dem Stück besingt, steht "Food" bis hierhin in nichts nach: "The beat was like a soundtrack to me / The melody washed right over me."
Zu verdanken ist das auch Produzent Dave Sitek. Der arbeitete bereits für Foals sowie die Yeah Yeah Yeahs und hievt die markante, wenn auch nicht voluminöse Stimme der Sängerin auf ein neues Level. Besonders nach dem umstrittenen Ausflug in den elektronischen Bereich auf "Flesh Tone" findet das Team um Sitek mit perfekt ausgewogener Live-Instrumentierung genau das richtige Mittel, um Kelis als Künstlerin noch weiter reifen zu lassen.
Der stimmungsvolle, meist heitere Mix aus Soul, Funk, Afrobeat und klassischem R'n'B steht der 34-Jährigen nämlich bestens zu Gesicht. Ob sie mit Handclaps und einem kleinen Orchester im Rücken auf "Cobbler" zum Tanzen anregt oder sich im betörend langsamen und futuristisch angehauchten Soul als "Dreamer" gibt - dass sie wieder voll hinter ihrer Musik steht, ist Kelis anzumerken.
Doch auch wenn Karriere, Sohn und das Kochen ihr Leben erfüllen, fehlt etwas, und zwar ein Mann an ihrer Seite. Frei sein bedeutet manchmal eben auch allein sein: "Sure I'm self sufficient blah blah independent [...] I've got some space, I want that man to fill it." "Floyd" muss er nicht unbedingt heißen, nach der Trennung von Nas sollte der Neue aber schon ähnlich Besonderes mitbringen: "I want to be blown away." Wenn der Song schließlich mit dem Optimismus eines Disney-Happy-Ends ausklingt, deutet ein blitzender Lichtstrahl jedoch das Ende des Single-Tunnels an.
Dass die üppige Instrumentierung, an der Produzent Sitek ab und an auch selber mitwirkt ("Biscuits N' Gravy", "Dreamer"), nicht nur in den Funk- und Soul-Nummern begeistert, zeigt "Forever Be", der einzige offensichtliche Pop-Song des Albums. Auch hier reißen Bläser, Keys und dezente Violinen-Klänge besonders in der Hook mit.
Ebenfalls hoch anrechnen muss man Band und Produzent, dass die Stücke nie überladen wirken und Kelis ausreichend Platz für ihre Zeilen lassen. Die soulig-warme, aber nur selten kraftvolle und teilweise sogar dünne Stimme der Protagonistin wird nie erdrückt, geschweige denn übertönt. Besonders deutlich kommt diese Stärke in "Rumble" zum Vorschein, dass die Sängerin innerlich gespalten zeigt.
"No we don't need therapy / What I need is you to leave", schließt sie zu Drums und Piano voreilig mit ihrer letzten Liebe ab, nur, um später zu flehen "Baby don't go". Eine der wenigen Passagen, in denen Kelis zeigt, dass durchaus Power in ihrer sonst zurückgelehnten Darbietung steckt, gestärkt von plötzlich einsetzenden Trompeten- und Saxofon-Tönen.
Völlig aus dem Nichts schleicht sich das Cover der Singer/Songwriter-Ballade "Bless The Telephone" heran und überrascht mit vollkommen anderem Sound. Kelis' gefühlvoller Gesang harmoniert zwar perfekt mit der gezupften Gitarre, als Duett mit Sal Masakela gerät der Song aber etwas zu süß und klebrig. Zu den markant rhythmischen Soul-Nummern der Platte will "Bless The Telephone" ohnehin nicht passen und hätte sich eher als Nachtisch für "Food" geeignet.
Der kleine Aussetzer bleibt jedoch die einzige Zutat, die etwas schwerer im Magen liegt. Ansonsten bietet Kelis' sechstes Studio-Album eine wunderbar leichte und dennoch feine Kost, die hoffentlich nur den Anfang eines mehrgängigen Menüs darstellt. "Food" macht mit seinen organischen Klängen und eingängigen Hooks von der ersten bis zur letzten Minute Spaß und wirft schon jetzt die spannende Frage auf, welchen Weg die Sängerin auf ihren kommenden Werken einschlägt.
© Laut