Mit "In Rainbows" betreten Radiohead neue Vermarktungspfade. Ab dem 10. Oktober ist die neue Platte als Download über eine von der Band betriebene Homepage erhältlich. So weit, so zeitgemäß. Der Clou: Jeder bezahlt das, was ihm das Album wert ist. Auch ein kostenloser Download ist möglich, aber natürlich eine ausgenommene Frechheit. Ein physischer Tonträger wird (gegen einen festen Geldwert) zu einem späteren Zeitpunkt erhältlich sein.
Die Engländer lösen damit beim Hörer hoffentlich auch einen Denk- und Diskussionsprozess über den Wert von nichtdinglicher Kunst aus. Wie viel ist Musik wert, die ich als Download in 160 kBit/Sek-Qualität aus dem Netz sauge? Wird sie durch die Form des Erwerbs als Kunstwerk entwertet? Wird sie dadurch, dass mir Radiohead einen Mündigkeitsvorschuss gewähren, aufgewertet? Entlarvt man sich selbst als "Kulturbanause", wenn man "In Rainbows" kostenlos lädt? Hat Kunst überhaupt einen materiellen Wert oder geht es nur um das Ideelle?
Fest steht: Mit "In Rainbows" bekommt der Fan ein Album, das sich weniger zugänglich zeigt als der Vorgänger "Hail To The Thief", aber nicht so verschlossen bleibt wie "Kid A" oder "Amnesiac". Jazzige Elemente sucht man vergebens, dafür finden sich jede Menge elektronische Spielereien, fein zurückhaltend und im Hintergrund stehend.
Der Opener "15 Step" dient wohl erst einmal als Abschreckung. Ein gebitcrushter Breakbeat untermalt den einmaligen Gesang Thom Yorkes, erst nach gut 40 Sekunden kommt ihm eine zarte Gitarre zu Hilfe. So rau der Anfang, so groß der Song. Radiohead sind Radiohead sind Radiohead, "15 Step" leitet "In Rainbows" mit einem Highlight ein.
Eine äußerst kratzige Gitarre eröffnet "Bodysnatchers", und auch wenn hier ganz offensichtlich Gesang und Gitarre gegeneinander anspielen, so fügt es sich harmonisch zusammen. Nach der Definition, die Radiohead eben für Harmonie bereit halten. Verquer, aber schön, wenn man sich nur darauf einlassen mag.
Das sanfte "Nude" sorgt für einen Bruch im schnellen Fluss des Anfangs und drosselt die Euphorie, allerdings ohne dass das Quintett qualitativ nachlässt. Mit "Weird Fishes/Arpeggi" nimmt das Album wieder Fahrt auf, auch hier lässt Phil Selway sein mittlerweile typisches, beckenlastiges Schlagzeugspiel erklingen, das den Songs eine gewisse Unstetigkeit verleiht.
Doch schon "All I Need" und "Faust Arp" lassen es wieder betont ruhig angehen. Leider entpuppt sich letztgenannter Song mit seiner Akustikgitarre und der übermäßig dicken Streicherwand als Schwachpunkt des Albums. Auch "Reckoner" kommt nicht ohne Streicher aus, deren scheinbare Lieblichkeit tritt gegenüber der Band jedoch deutlich in den Hintergrund.
So langsam durchschaut der Hörer das Konzept auf "In Rainbows". Stark perkussive Rhythmen bilden das Fundament, auf dem sich Thom Yorke austoben kann. Gitarrist Jonny Greenwood und Ed O'Brien halten sich deutlich zurück, spielen oft unverzerrte, zurückhaltende E- oder gar Akustikgitarren.
Im über die ganze Länge etwas zähen "House Of Cards" erinnert Yorkes Gesang stark an Jón Þór "Jónsi" Birgisson von Sigur Rós. Und dann, kurz vor Ende, langen die fünf noch einmal richtig hin. Das glasklar produzierte "Jigsaw Falling Into Place" entfaltet sich zu einem Highlight des Albums.
Und auch das abschließende "Videotape" hat es in sich. Der Sänger, im Wesentlichen nur von einem Klavier begleitet, lässt noch einmal den ganzen spröden Charme seiner Stimme spielen. Im Hintergrund kündigt sich eine Beat-Kakophonie an, die jedoch nie so recht ausbricht. Wunderbar. Am Ende stellt sich eigentlich nur die Frage: Habe ich die Künstler angemessen entlohnt?
Für alle, die dann doch lieber den physischen Tonträger zum ins Regal stellen möchten: Am 28. Dezember soll die CD bei Beggars/Indigo erscheinen.
© Laut