Travis Scott kennt man am ehesten als Protegé von Kanye West. Er steht als Produzent bei dessen Label GOOD Music unter Vertrag und werkelte am Sound von Yeezus mit. Um so überraschender, dass der Musiker mit "Days Before Rodeo" eines der besten Mixtapes des vergangenen Jahres veröffentlichte, und das lediglich als Teaser auf sein Debütalbum. Kein Wunder, dass die Erwartungen an "Rodeo" immens hoch sind. Wer jedoch eine sture Fortführung des Mixtapes auf Albumlänge erwartet, wird enttäuscht.
"He chose the mood of 'fuck this shit.'" Als Erzählerstimme eröffnet T.I. "Rodeo" und stellt das Rahmenthema des Albums vor: Die Wandlung von Jacques Webster zu Travis Scott, einem "young rebel against the system". Scotts Antihaltung, seine ignorante Selbstdarstellung und sein exzessiver Lebensstil sind die Eckpunkte, die Darstellung in der Musik finden. Hierbei wirken seine Texte oftmals oberflächlich und belanglos, doch in Verbindung mit der musikalischen Untermalung entfalten sie ihr ästhetisches Potential.
Travis Scott ist klar vom Atlanta-Trap-Sound beeinflusst. Auf "Days Before Rodeo" schraubte er daraus ein großartig düsteres Soundgerüst, vollgepackt mit wummernden Effekten und Variationen. Dieser Herangehensweise folgt der Rapper auch auf "Rodeo" – allerdings nur partiell. "I Can Tell" beispielsweise ist ein vor Kraft strotzender Synthie-Banger, der dunkel und fast monoton beginnt. Im Verlauf gestaltet Travis Scott den Song aber zunehmend dynamischer – und vor allem melodischer.
Denn auf "Rodeo" ändert der MC aus Houston seinen bisherigen Style: Er setzt auf harmonische Melodien, ohne jedoch seinen finsteren Trap-Sound außen vor zu lassen. Die Tracks sind zu keinem Zeitpunkt monoton, immer passiert etwas. Mal variiert der Interpret Flow oder Stimmlage, mal brechen dämmrige Bass-Lines die komplette Stimmung auf und wenden den Sound in eine gänzlich neue Richtung. Oftmals gehen innerhalb eines Songs auch mehrere Beats ineinander über und geben ihnen so eine Entwicklung über mehrere Ebenen.
Auf "90210" treibt Scott zunächst seinen hedonistischen Lifestyle auf die Spitze und erzählt von seiner Beziehung zu einem Pornostar. Schließlich bricht die exzentrische Momentaufnahme auf und verwelkt zu einem fast schon emotionalen Rap-Part. Begleitet von einer subtilen E-Gitarre im Hintergrund reflektiert Travis seinen Weg zum Erfolg und die Beziehung zu seinen Verwandten: "My granny called, she said 'Travie, you work too hard. I'm worried you'll forget about me.'"
Solche Risse auf der dicken Schicht aus Ignoranz und Selbstbeweihräucherung zeigen sich sporadisch, doch in ihrer Seltenheit um so wirkungsvoller. Meist stehen die Lyrics im Hintergrund, während das ästhetische Soundbild, das den ausschweifenden Lifestyle des Rappers repräsentiert, fast für sich allein steht. Die Stimme verkommt dabei nur zu einem weiteren Instrument, das die Wucht und Eingängigkeit der Songs unterstreicht. Wie auf "Oh My Dis Side", wo Travis Autotune-getränkt mit Migos-Mitglied Quavo in stimmigem Gleichklang über den Takt brettert. Oder "Maria I'm Drunk", das durch den eigenwilligen Gesang von Krächzstimme Young Thug an ganz eigener Dynamik gewinnt. Und auch Justin Biebers Part passt hier überraschenderweise gut in den hypnotischen Klang des schwerfälligen Pianos.
Doch gibt es auch vereinzelte Tiefpunkte auf "Rodeo". Wenn Travis Scott auf dem aggressiven "Piss On Your Grave" mit Mentor Kanye West völlig ausrastet, dann klingt das sperrig und verrückt – aber irgendwie doch nur wie ein unausgereifter "Yeezus"-Track. Das psychedelische "Wasted" mit Juicy J erinnert ein kleines bisschen zu sehr an A$ap Rocky und verliert in der Mitte einiges an Fahrt, wodurch der Track nur so vor sich hin plätschert.
"Rodeo" knüpft also nicht direkt an seinen Mixtape-Teaser an. Das kann einen zunächst durchaus ernüchtern. Doch nach einigen Durchgängen zündet das Album und man bemerkt den entscheidenden Schritt, den Travis Scott mit der Platte weiter geht. Sein Sound hat nichts an Dynamik und Eigenständigkeit eingebüßt, sondern ihn lediglich weiterentwickelt und abgerundet. Noch einmal schön zu hören am chilligen Album-Schlusslicht "Apple Pie", in dem sich die Figur Travis Scott endgültig emanzipiert. Hier schließt sich der Kreis und Erzähler T.I. entlässt den Hörer mit der Frage: "Will he make it? Was it worth it? Did he win?" – Mit diesem Album auf jeden Fall.
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