Die Barockgitarre ist in ihrer Struktur ziemlich weit entfernt von der modernen Gitarre; in der Barockzeit war sir kleiner und enger, und besaß vor allem nur fünf "Chöre" – ein Chor ist in diesem Fall ein Paar identisch abgestimmte Saiten, die einen deutlich reicheren Ton ermöglichen als eine einzige Saite. Die Stimmung selbst bietet aber nur wenig Bass-Noten, auch wenn von einem Land zum anderen anscheinend die Stimmung verschiedenwaren, ohne dass es immer möglich ist, genau zu wissen, was die Komponisten wollten. Einer der Hauptkomponisten der französischen Barockgitarre war François Campion, und dieses Album bietet alle seine Werke, von denen die Handschrift des Komponisten uns überliefert worden sind. Campion wurde um 1685 in Rouen geboren. Als eines der letzten Bücher für die fünfchörige Gitarre erschienen 1705 in Paris seine Nouvelles Découvertes sur la Guitarre („Neue Entdeckungen auf der Gitarre“). Dieses Werk weist Campion als den herausragenden Vertreter der französischen Gitarrenschule des frühen 18. Jahrhunderts aus. Nach Campions Tod im Jahr 1747 übergab sein Neffe das persönliche Exemplar des Komponisten der Nouvelles Découvertes der Bibliothèque du Roi (heute französische Nationalbibliothek). Ein handschriftlicher Eintrag auf der ersten Seite der Nouvelles Découvertes zeigt, dass Campion eine klare Vorstellung davon hatte, wie er von der Nachwelt in Erinnerung behalten werden wollte: „Piéces de Guitare du S.r Campion Proffesseur maitre de théorbe et de guitare de L’Academie Royalle de Musique en 1731, Auteur de la Régle de l’Octave“. Campion gilt zum einen als Komponist, dann als meisterhafter Interpret auf Gitarre und Theorbe sowie Mitglied der Académie Royale de Musique (der späteren Pariser Oper), als Pädagoge und schließlich als Theoretiker. Campions persönliches Exemplar der Nouvelles Découvertes ermöglicht es dem heutigen Interpreten, dem Schaffensprozess des Komponisten so nahe wie bei kaum jemals einem Komponisten zu kommen. Bei dem hier von Bernhard Hofstötter verwendeten Instrument handelt es sich um eine um 1640 gebaute zeittypische fünfchörige Gitarre, dem berühmten Instrumentenbauer Matteo Sellas zugeschrieben. Die Gitarre ist in einem für ihr Alter erstaunlich guten Zustand. Im Gegensatz zu vielen anderen Originalinstrumenten sind ihr irreversible Veränderungen und Anpassungen an den Zeitgeschmack des neunzehnten Jahrhunderts glücklicherweise erspart geblieben. Das Instrument kann uns somit einen hervorragenden Eindruck davon vermitteln, wie eine vor beinahe vierhundert Jahren gebaute Gitarre heute klingt. © SM/Qobuz