Die Markuspassion von Johann Sebastian Bach ist tatsächlich im Katalog enthalten, den sein Sohn Carl Philipp Emanuel erstellt hat. Sie wurde sogar am 23. März 1731, zwei Jahre nach der Matthäuspassion, in der Thomaskirche in Leipzig uraufgeführt. Dies ist alles wahr und historisch belegt, nur ist die Musik völlig verschwunden, während das Libretto von Picander für eine spätere Aufführung im Jahr 1744 erhalten blieb. Daher ist es den Interpreten überlassen, im vorliegenden Fall Jordi Savall, der sich ausführlich mit dem Markusevangelium befasst hat, das Werk auf der Grundlage früherer Werke von Anfang bis Ende zu erfinden. Dieses "Pasticcio"-Verfahren hat Bach Zeit seines Lebens intensiv verwendet und uns damit Meisterwerke wie das Weihnachtsoratorium oder die h-Moll Messe beschert. Allerdings hat Bach diese für andere Zwecke wiederverwendeten Kompositionen oft neu zusammengestellt und verändert.
Es wurde oftmals, mehr oder weniger gelungen und historisch authentisch versucht, dieses Werk zu rekonstruieren und aufzunehmen. Denn unabhängig von der Qualität der musikwissenschaftlichen Arbeit wird das Ergebnis nie mehr als eine Hypothese sein. Wir wissen, dass Bach diesem neuen Werk einen anderen Charakter verleihen wollte als den anderen Passionen, mit weitaus weniger Chören und Arien und dem Publikum bekannten Chorälen. Für seine Arbeit hat sich Jordi Savall auf das Libretto von 1744 gestützt. Dazu schöpfte er aus der Trauerode, den Johannes- und Matthäuspassionen sowie aus verschiedenen Kantaten. Jordi Savall bietet eine neue Herangehensweise und wirft dadurch auch ein neues Licht auf die Rekonstruktion dieses verlorenen Werkes. © François Hudry/Qobuz